Stigma freiwillige Rückkehr

Spezielle Programme sollen Geflüchtete ohne Bleibeperspektive zur freiwilligen Rückkehr bewegen. Doch viele entscheiden sich dagegen – oder ziehen es vor, als abgeschoben zu gelten.

03.09.2024 · News · Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung · Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Raumwissenschaften · Forschungsergebnis

Rückkehrprogramme sollen Geflüchtete zur freiwilligen Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegen. Die eigene Entscheidung gilt als humanere Alternative zur Abschiebung. Viele entscheiden sich jedoch dagegen, selbst wenn ihre wirtschaftliche oder rechtliche Situation prekär ist. Vor allem wirtschaftliche Gründe und Stigmatisierungen spielen dabei eine Rolle, haben Julia Stier und Judith Altrogge in Befragungen von Migrant*innen und Expert*innen aus Senegal und Gambia erfahren.

Für viele Migrantinnen und Migranten ist der Wunsch zur Rückkehr Teil ihres Auswanderungsprojekts. Sie wollen die Lebensumstände im Herkunftsland verändern, indem sie ihre finanzielle Situation oder die der Familie verbessern oder durch ein Studium im Ausland ihre Chancen auf dem heimischen Arbeitsmarkt erhöhen. Viele überweisen regelmäßig Geld in ihr Herkunftsland – für Angehörige, aber auch für längerfristige Investitionen wie den Bau eines Hauses, also für eine potenzielle Rückkehr.

Rückkehrwunsch ist oft vorhanden

In Europa sollen AVRR-Programme (Assisted Voluntary Return and Reintegration) die Rückkehrzahlen unter jenen Migrant*innen erhöhen, die keine längerfristige Bleibeperspektive erhalten. Sie werden organisatorisch, finanziell oder durch Qualifizierungsmaßnahmen unterstützt und können, anders als bei einer Abschiebung, ihre Migrationsziele zum Teil verfolgen.

WZB-Forscherin Julia Stier und Judith Altrogge (Universität Osnabrück) haben im TRANSMIT-Projekt („Transnational Perspectives on Migration and Integration“) Rückkehrwünsche von senegalesischen und gambischen Migrant*innen in Italien und Deutschland mit Erfahrungen von Rückkehrer*innen in Beziehung gesetzt und Expert*innen in Deutschland, Gambia und Senegal befragt. Die meisten der migrantischen Interviewpartner haben einen generellen Rückkehrwunsch, schieben die Rückkehr aber in die fernere Zukunft. Viele entscheiden sich gegen ein AVRR-Programm, wenn sie ihre Migrationsziele nicht erreicht haben.   

Wirtschaftliche Gründe und Stigmatisierung

Der Druck erfolgreich zu sein, wird durch Vorbilder erfolgreicher Rückkehrer noch verstärkt. Auch die Risiken und Opfer der Migration spielen eine Rolle, wie eine lebensbedrohliche Reise oder hohe finanzielle Kosten und Schulden, die die finanzielle Lage der Familie noch verschlechtern. Aber selbst erfolgreiche Migrant*innen verschieben ihre Rückkehr häufig, wenn sie sich ihr Leben im Zielland aufgebaut haben.

Menschen, die zurückkehren, ohne ihr Ziel erreicht zu haben, tun dies oft, weil sie Heimweh haben. Durch die freiwillige Rückkehr glauben sie, ihren Handlungsspielraum zu vergrößern. Doch der Aufbau einer beruflichen Perspektive ist meist schwierig und die Rückkehr wird später bereut. „Eine Rückkehr mit leeren Händen führt häufig zu Stigmatisierung, selbst im engen Familienkreis“ sagen die beiden Autorinnen. Die Reintegration wird erschwert.

AVRR-Programme beinhalten oft ein Startgeld für Rückkehrende, wodurch kurzfristig der Eindruck finanziellen Erfolgs entsteht. Wenn deutlich wird, wie begrenzt die Mittel sind, wächst jedoch die Enttäuschung. Viele wollen nicht erklären, dass sie der Rückkehr zugestimmt haben, da sie befürchten, im Heimatland dafür verurteilt zu werden. Eher nehmen sie in Kauf, als abgeschoben zu gelten.

Weitere Informationen und Kontakt

Pressemitteilung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB)